Ihr Roman «Iranische Dämmerung» ist jetzt auf Deutsch erschienen, erstmals ungekürzt. 2007 kam das Buch im Iran heraus, aber mit starken Eingriffen der Zensur. Was war denn so anstössig?

Es gibt einen hochrangigen Militär, der homosexuell ist. Das ging gar nicht. Auch erotische Szenen wurden gestrichen, wobei die Zensurbehörde «Erotik» sehr weit auslegt – schon, wenn ein Mann eine Frau nur berührt. Zudem gab es politische Anspielungen. Aber wenn Sie nicht über Sex und Politik schreiben dürfen, was bleibt dann?

 

 

Kochen, Autofahren . . .

(lacht) Ich sollte für das Buch den wichtigsten iranischen Literaturpreis bekommen. Ich habe aber abgelehnt und einen Protestbrief an die Zensurbehörde geschrieben. Seitdem durfte im Iran kein Buch von mir mehr gedruckt werden.

 

 

Nicht das erste Mal, dass Sie Probleme bekamen.

Meine Schwierigkeiten reichen zurück bis in die 1990er-Jahre. Damals wurden Schriftsteller noch hingerichtet. Mein Name stand auf allen schwarzen Listen. Es gibt eine vertrauliche Mitteilung des Geheimdienstes, die einige Jahre später publik wurde, nach der ich als «problematisch» galt und «etwas gegen mich unternommen» werden müsste. Dabei ist das einzige politische Thema, für das ich mich engagiere, die Rede- und Publikationsfreiheit. Ich möchte meine Bücher veröffentlichen. Ich habe in den letzten Jahren vier Bücher geschrieben, keines konnte in der Originalsprache erscheinen, nur in Übersetzungen.

 

 

«Iranische Dämmerung» ist einige Jahre alt. Wie nahe fühlen Sie sich dem Roman noch? «Meine Heimat ist in der Luft», sagt der Held. Sagen Sie das auch?

Bei mir ist das anders. Ich war immer nur kurz im Exil und wusste, dass ich zurückgehe, mit allen Konsequenzen. Schon als ich als junger Mann im Ausland studierte, merkte ich, dass ich meiner Heimat unglaublich verbunden bin. Ich war deprimiert, heimwehkrank. Ich brauche meinen Schreibtisch zu Hause.

 

 

An dem Sie schreiben im Wissen, dass Ihre Bücher in Ihrem Land nicht zu den Lesern finden.

Eine schreckliche Situation! Vor allem können Sie nie wissen, ob und was veröffentlicht werden kann. Die Zensur – sie hat ein eigenes Ministerium, stellen Sie sich vor! Was für eine Energieverschwendung! – ist unberechenbar. Mal geht es um ein einzelnes Wort, mal um Sie als Autor, um Ihre Einstellung zur Regierung: Sind Sie einer von denen oder nicht? In letzter Zeit reiche ich meine Bücher nicht einmal mehr ein.

 

 

Auch nicht Ihr neuestes Buch, «Der Kalligraf von Isfahan»? Das spielt doch im 18. Jahrhundert.

Ja, aber jeder kann die Parallelen zur Gegenwart ziehen. Ich schreibe, wie der Fundamentalismus Kunst und Poesie ruiniert. Ich schreibe über die Theokratie, die Verquickung von Religion und Politik – ein Gift, das heute den Mittleren Osten zerstört. Ich schreibe auch über Sunniten und Schiiten. Die meisten Iraner denken, dass der Iran immer schiitisch war. Dabei wurden viele ihrer sunnitischen Vorfahren zwangskonvertiert.

 

 

Haben Sie Hoffnung, Ihre Bücher einmal im Iran zu veröffentlichen?

Die habe ich, und es gibt Anlass dafür. Was den Iran ja heute charakterisiert, ist die totale Inkonsequenz. Der fundamentale Gegensatz von Gesetz und Realität.

 

 

Was meinen Sie?

Verbotene Bücher, Filme, Musik bekommen Sie unter der Ladentheke oder von fliegenden Händlern auf der Strasse. Alkohol ist verboten. Man bekommt aber in Teheran in kürzester Zeit welchen; es gibt spezielle Motorradlieferanten dafür. Auch gemischte Partys sind verboten, aber natürlich können Sie in Teheran Häuser mieten, um solche Partys zu veranstalten. Die lokalen Autoritäten wissen das, sie kassieren sogar von denen, die sie kontrollieren müssten. Ein anderes Beispiel: Der Besitz von Haustieren ist verboten und wird mit 74 Peitschenhieben bestraft. Theoretisch. Aber allein in Teheran haben 100'000 Haushalte einen Hund! Sie sehen sie in den Strassen, die Besitzer führen sie spazieren. Manchmal gibt es eine «Aktion», es werden einige Hunde beschlagnahmt, und dann geht es weiter wie vorher.

 

 

Man kann nicht sicher sein, welches Gesetz gilt?

Genauso ist es. Die Menschen gehen das Risiko eben ein. Sie führen ihre Hunde spazieren. Sie veranstalten Partys. Sie trinken Alkohol. Auch TV-Satellitenschüsseln sind offiziell verboten. Aber wenn Sie auf das Dach eines hohen Gebäudes in Teheran steigen, sehen Sie, dass jedes Haus eine TV-Satellitenschüssel hat. Alle paar Jahre kommt jemand und baut sie ab. In meiner Nachbarschaft ist das dreimal passiert in den letzten zwanzig Jahren.

 

 

Sie haben also auch Satellitenfernsehen?

Natürlich! Jeder hat das. Kontrollen sind Zufallstreffer in einer Stadt mit 15 Millionen Einwohnern. Man kauft dann halt eine neue Schüssel.

 

 

Die Wahl des neuen Präsidenten Rohani war mit viel Hoffnung auf eine Liberalisierung verbunden. Spüren Sie schon etwas?

Rohani hat sich erst einmal mit dem Atomvertrag beschäftigt. Dass der abgeschlossen werden konnte, ist eine grosse Leistung. Jetzt kann sich Rohani dem Kampf gegen die Hardliner zuwenden. Auch wenn die Sanktionen aufgehoben werden, wird das der Wirtschaft guttun und zu mehr Freiheit führen. Allerdings sind die Iraner sehr emotional – sie denken, nun wird über Nacht alles besser. Es ist aber ein langer Prozess.

 

 

Kann der Iran nach dem Atomvertrag eine konstruktivere Rolle im Mittleren Osten spielen? Bisher galt er ja eher als Störenfried.

Ich bin optimistisch. Eine gemässigtere Regierung bedeutet auch eine flexiblere Aussenpolitik. Ich sehe allerdings die Ursache fast aller Konflikte in der Region in Saudiarabien. Mit seiner sehr extremen Interpretation des Islam hat Saudiarabien das Aufkommen von Isis, al-Qaida und der Taliban gefördert. Iran will als Macht anerkannt werden, und ich finde, der Iran verdient es auch.

 

 

Sehr patriotisch.

Es ist ein grosses Land mit einer grossen Geschichte und einem enormen «Humankapital». Wenn Sie einen Staat klein halten wollen, führt das zu harten Reaktionen. So hat sich auch der Iran in der 30-jährigen Isolation verhärtet. Die kulturelle Bedeutung des Iran ist noch grösser als die politische. Persisch gesprochen wird in Teilen Tadschikistans, Afghanistans, Pakistans. Ich hoffe, mit dem Atomvertrag wird ein neues Kapitel aufgeschlagen zwischen dem Iran und dem Westen. Denn ich finde, der Iran gehört zum Westen!

 

 

Wie sehen Sie die Region in zehn Jahren?

Der Blick in die Zukunft erschreckt mich. Wenn ich über die Grenzen des Iran schaue: alles in Aufruhr, im Irak, in Afghanistan, in Pakistan. Von Syrien ganz zu schweigen. Selbst die Türkei ist voller Probleme. Ich könnte mir vorstellen, dass die nächste islamische Revolution in der Türkei stattfinden wird. Überhaupt, es kann Schreckliches passieren in der Region: ein Konflikt, der sich internationalisiert. Oder die Welt überlässt die Region sich selbst. Dann werden die Kämpfe nicht aufhören. Der Iran ist wohl der sicherste Ort im Mittleren Osten. Aber er liegt im Auge des Hurrikans.
Sehr nahe. Ich denke, ich habe darin etwas sehr Allgemeines, Umfassendes beschrieben: die Erfahrung der Emigration und der unmöglichen Rückkehr. Mein Held kommt nach vielen Jahren zurück in die Heimat, aber die hat sich so verändert, dass sie für ihn keine Heimat mehr sein kann. Für jeden Emigranten ist das ein Desaster: Er kann nirgendwo mehr heimisch werden.

 

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@Tages-Anzeiger