Guy Helminger und Thomas Koppenhagen stellen zwei Werke vor, in denen es um Erinnerungen geht. Auch wenn die beiden Bücher verschiedener kaum sein könnten: Das eine handelt von der Islamischen Revolution im Iran, das andere vom Leben des « The Who »-Stars Roger Daltrey.

 

Im November 1978 ist der Schah noch an der Macht, aber viele junge Leute marodieren durch die Straßen, demonstrieren gegen den Regenten und schlagen sich auf die Seite der marxistischen, militanten Volksmudschahedin oder fühlen sich von der islamischen Bewegung, deren Held der im Exil in Paris lebende Ajatollah Khomeini ist, angezogen. So auch Homajun, der eines Abends mit Freunden und einem Stein in der Hand vor dem Spirituosengeschäft seines Vaters steht und die Scheibe einschmeißt, weil Alkohol gegen den Islam verstößt. Wenn die Söhne sich so radikal gegen die Väter erheben, dann braut sich etwas Großes zusammen, meint daraufhin der Wein- und Schnapsladenbetreiber – und er sollte recht behalten.

Der iranische Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan lebte damals wie heute in Teheran und hat nun, 40 Jahre nach der Revolution, seine Erinnerungen veröffentlicht, eine Mischung aus Erzähltem und Fakten, ein Memoir, so sprunghaft wie die damaligen Ereignisse, gepaart mit kleinen Geschichten aus seinem Viertel. Dabei wird nicht nur klar, wie schwer die Situation damals zu kontrollieren war, wie anarchisch und unberechenbar die Gewaltherde an immer anderen Stellen aufflammten, sondern auch wie einzelne Menschen sich in den Monaten der Revolution entwickelten, sich radikalisierten, Mythen schafften, töteten oder aus der Unübersichtlichkeit Kapital zu schlagen versuchten.

Während der Kleinhändler Reza, der vormals nicht einmal seine Waren auf dem Bürgersteig ausbreiten durfte, nun als Kommandeur mit Gewehr die Freiwilligen zur Wache einteilt, Fakhri, die Leichenwäscherin, auszieht, um Mädchen, die kein Kopftuch tragen, an den Haaren zu ziehen, Herr Adeli versucht, einem Papagei die richtige Parole beizubringen, schafft der Moschee-Vorsteher reiche Leute und Schah-Anhänger außer Landes und verdient sich so eine goldene Nase. Und das Buch zeigt, wie viel mehr es um Macht als um Religion ging. Entdeckte die Islamische Revolution an einem Punkt plötzlich die Mittellosen und versuchte sie zu mobilisieren, diskreditierte sie die Anführer der daraus resultierenden Arbeitslosenbewegung schon wenig später als ketzerische Kommunisten und ließ die Versammlungen stürmen.

Cheheltans Buch ist eine erzählte Dokumentation, die die Geschehnisse keineswegs ausschmückt, sich zuweilen sogar mit einer Aufzählung der Fakten begnügt, trotzdem könnten die Personen aus dem Viertel einem Roman entsprungen sein. Dieses Pendeln zwischen Nachprüfbarkeit politischer Tatsachen und einem unmittelbaren Erleben, das an einzelne Protagonisten gekoppelt ist, macht den besonderen Reiz des Buches aus, ein Buch, das zudem zeigt, wie nahe sich Ideologie und Groteske sind, wie konsequent Ajatollah Khomeini vorging, Zeitungen verbot, Radio und Fernsehanstalten übernahm, hinrichten ließ, ein Klima schaffte, in dem Intellektuelle bedroht wurden, bis sie schwiegen. Alles im Namen der Religion.

Mit seiner Band The Who schrieb der Sänger Roger Daltrey Rockgeschichte und auch als Schauspieler sollte er eine ziemlich gute Figur abgeben. Weshalb man allerdings so lange auf einen Rückblick oder gar eine Lebensbilanz des Stars warten musste, bleibt ein Rätsel – aber das ist in Anbetracht seiner gelungenen Memoiren, die den Titel des wohl berühmtesten The-Who-Hits tragen, egal.

Daltrey wurde am 1. März 1944 in eine weit verzweigte Londoner Familie, die der britischen Arbeiterklasse angehört, hineingeboren. Diese Zuweisung ist insofern bedeutsam, da sich Daltrey in seinen Lebenserinnerungen immer wieder auf diese Herkunft bezieht.

Beispielsweise behauptet er, sich im Vergleich zu seinem jugendlichen Ich nicht groß verändert zu haben und immer noch ein „schlichter Typ“ zu sein. Schlicht bedeutet in dem Zusammenhang vor allem eins: bodenständig und fair seinen Mitmenschen gegenüber. Da wir aber hier von einem Buch reden, das ein Rockstar verfasst hat, kann es weniger darum gehen, wie dieser Mensch an sich ist, sondern vielmehr darum, wie diese Person sich in der Öffentlichkeit darstellt. Noch dazu im Verbund mit drei weiteren Musikern, die unterschiedlicher kaum sein konnten: dem stoischen Bassisten John Entwistle, dem Schlagzeuger Keith Moon, den man getrost als irre bezeichnen konnte, sowie dem Gitarristen Pete Townshend, der als hauptsächlicher Songschreiber im Zentrum der Gruppe The Who und deren Krisen stand.

Moon starb 1978 an einer Überdosis Beruhigungstabletten, Entwistle erlag 2002 im Schlaf einem Herzinfarkt. Bleibt also noch Townshend und seine eigenen, 2012 erschienenen Lebenserinnerungen, auf die sich Roger Daltrey immer wieder bezieht. Allerdings merkwürdig indirekt, aber auch da muss man wohl von einer Mischung aus tatsächlichen Kontroversen und wohltemperiertem Kalkül ausgehen, um nicht in die Authentizitätsfalle zu tappen. The Who sind ein Unternehmen, das anlässlich von Daltreys 75. Geburtstag noch einmal hochgefahren wird: vor allem Konzerte, die mittlerweile das meiste Geld einbringen, dann Bücher wie „My Generation“, Interviews galore, Best-of-Kompilationen sowie Nippes jeder Art. Die ganze Palette eben.

So gesehen, als bloßes Merchandising-Produkt, wirkt „My Generation“ umso eindrücklicher. Weil Daltrey bzw. sein Lektorat betont unprätentiös zu Werke gingen und dabei auch auf die in Musikerbiografien sonst üblichen Slang/Modewörter-Peinlichkeiten (mit denen gemeinhin Hipstertum simuliert wird) verzichteten, erscheint das Buch umso mehr als das, was Roger Daltrey alles in allem ausmacht. Dezidiert politische Standpunkte sucht man jedoch vergebens. Eine jahrelange Abhängigkeit von Schlaftabletten wird nicht verschwiegen, was aber in Anbetracht der Exzesse, welche sich andere Rockgrößen in den 1970ern haben zuschulden kommen lassen, kaum ins Gewicht fällt. Dass Eifersucht keine Option für Gattinnen von Rockstars ist, gilt auch für Roger Daltreys Ehe, die – ein weitgehendes Novum in der Szene – seit 50 Jahren gelebt wird, größtenteils noch dazu in jenem Haus in East Sussex, das sich das Paar in den frühen 1970ern zulegte.

Dort, beim Abbeizen von Deckenbalken oder beim Anlegen eines Fischteichs, wird man wohl dem eigentlichen Roger Daltrey begegnen können: dem Bastler, dem Macher, dem es im Grunde einerlei ist, ob er dampfbetriebene Karussells repariert oder mit The Who auf Tournee geht. Sobald das eine Projekt erledigt ist, geht das nächste an den Start. Dass Daltrey nie als Songschreiber auffällig wurde, mag daran liegen, dass er sich sozusagen beständig im Schatten von einem der ganz großen Rockkomponisten aufhielt. Und darin, in der Interpretation der Lieder von Pete Townshend, sieht Daltrey ausdrücklich die Bestimmung seines Lebens – was in Anbetracht der Tatsache, dass der Who-Sänger seine eigene Stimme nicht hören mag und im Radio einen anderen Sender sucht, wenn Stücke seiner Band gespielt werden, als eine Art Rollenspiel verstanden werden muss.