Amir Hassan Cheheltans Roman über Liebe und Folter in Iran

Der Herbst scheint eine dreckige Angelegenheit zu sein in Teheran. Ein trockener Wind weht durch die Seiten dieses Buches und wirbelt immer wieder grauen Staub auf, den Staub, der sich seit Jahrzehnten über das Leben der Bewohner zu legen scheint wie Sedimente des Schweigens. Gleichzeitig ist das Teheran dieses Romans ein chaotisch vor sich hin quellender Moloch, vollgestopft mit viel zu vielen Menschen. Das geheime Zentrum dieses Buchs aber, der Ort, an dem alle Handlungsfäden und alle Ängste der Protagonisten zusammenlaufen, ist das Foltergefängnis von Evin, das schwarze Loch Irans, in dem während der Revolutionsjahre tausende „politischer Häftlinge” verschwanden. Immer mehr Regimegegner wurden hier zusammengepfercht, bis man das Platzproblem 1988 mittels Massenhinrichtungen löste.

Hier arbeitete damals Fattah, ein ehemaliger Krankenhauspfleger, der zum Todesengel wurde, im Auftrag der heiligen Sache folterte und „halbwüchsigen Ketzern und kommunistischen Früchtchen” Fangschüsse setzte. Noch heute, Anfang der Neunziger, trifft er sich oft mit ehemaligen Kollegen in einem Badehaus, wo sie einander sentimentalisch an ihre hehre Aufgabe, ihre Beihilfe zur Errichtung des Gottesstaates, erinnern: „Die alten Kameraden gerieten ins Schwärmen und berieten darüber, wie die Zielpersonen zu sterben hätten. Sollte man sie auf einen Hügel bringen und erschießen, oder sie an der hohen Decke einer Lagerhalle aufknüpfen, sollte man sie entführen, in einer Geheimwohnung erdrosseln und ihre Leichen in der Wüste aussetzen oder sie in einer regnerischen Nacht unter den Rädern eines Lastwagens zerquetschen?”

Amir Hassan Cheheltan hat in diesem Buch keine einzige Zeile gegen den Islam oder die iranische Regierung geschrieben. Und doch ist „Teheran Revolutionsstraße” ein Generalangriff gegen die herrschenden Verhältnisse. Cheheltan stammt aus Teheran, er kennt sich aus mit dem Regime. Er erhielt mehrfach Todesdrohungen und überlebte zwei Attentate. Als 2006 sein Roman „Iranische Morgenröte” für den Staatlichen Buchpreis nominiert wurde, legte er Protest ein. Er wollte keinen staatlichen Preis haben, solange andere Bücher von ihm zensiert oder verboten wurden. Vertreter der Islamischen Republik teilten ihm daraufhin mit, sein Protest sei unnütz, ein Autor verfüge nach der Veröffentlichung nicht mehr über sein Werk. „Teheran Revolutionsstraße” legte Cheheltan gar nicht erst den Behörden vor. Er schrieb den Roman, damit er übersetzt wird. So hat er, ohne sich beim Schreiben selbst zu zensieren, eines der radikalsten, düstersten, mutigsten Bücher über sein Heimatland geschrieben.

Fattah verdient heute viel Geld, indem er Frauen vor der Hochzeit das Jungfernhäutchen wieder vernäht. Er liebt es, sie dabei zu beschimpfen, so sagt er zur 17-jährigen Schahrsad, die zu Beginn des Buches auf seiner Bahre liegt: „Diese Huren! Ständig geben sie sich jedem Erstbesten hin und dann fällt ihnen bei der Hochzeit ein, dass sie nur noch oberhalb des Bauchnabels Mädchen sind!”

Im Inneren verkrüppelt

Schahrsad soll verheiratet werden mit Mustafa, einem jungen Mann, dessen Mutter bei der Brautwerbung erzählt, ihr Sohn sei „ein Regierungsmensch, er bringt ehrlich verdientes Geld ins Haus.” Daran stimmt, dass er ein geregeltes Einkommen hat. Er bekommt es für seine Arbeit als Folterknecht. In den Verliesen von Evin. Als Fattah sich in seine Patientin verliebt und anfängt ihr nachzustellen, beginnt eine tödliche Ménage-à-trois.

Die märchenhafte Schahrasad hatte Glück seinerzeit. Sie konnte ihren Tod immer weiter hinauszögern, indem sie Geschichten erzählte, 1001 Nächte lang. Das heißt zum einen, dass sie zuvor gelernt haben muss, sich zu artikulieren. Dass sie jetzt reden durfte. Dass ihr einer zuhörte. Und das sie in all der Zeit nicht angetastet wurde. Schahrsad hingegen, ihre Namensvetterin aus Cheheltans Roman, das Objekt der doppelten Begierde, kommt kaum zu Wort. Sie braucht all ihre Kraft, um den unerträglichen Alltag auszuhalten und scheint sich selbst abhanden gekommen zu sein. Literarisch ist sie die beeindruckendste Figur, eine dunkle Leerstelle und Projektionsfläche.

Stark ist der Roman da, wo er rein aus der beschränkten Innenperspektive seiner Personen erzählt. Moralische Kategorien kommen nicht vor, Fattah und Mustafa sind innerlich verkrüppelt, ohne es freilich zu merken, sie sehen sich als loyale Diener einer Ideologie, die sich als Religion ausgibt, aber einzig auf repressivem Autoritätsglauben beruht. Fattah, der Schahrsad heiraten will, vergewaltigt sie irgendwann und sagt dabei: „Wenn du willst, näh ich es dir wieder zusammen.” Er meint das zärtlich.

Leider ist Cheheltan immer wieder auch kommentierender Beobachter, was gerade bei diesen beschränkten, selbstgefälligen, angstgelähmten Charakteren einen bizarren Effekt hat, fast als würde sich in einem Spielfilm plötzlich ein CNN-Reporter ins Bild drängen und erläutern: „Sie sehen, meine Dam’n’herrn, Korruption und Angstregime einerseits, dabei außenpolitisch wenig Proteste wegen viel Öl und feigem Westen.” Dennoch hat Amir Hassan Cheheltan ein beeindruckendes Tableau seines Landes gezeichnet – und dabei en passant die Vorgeschichte der aktuellen Proteste aufgezeichnet. ALEX RÜHLE

AMIR HASSAN CHEHELTAN: Teheran Revolutionsstraße. Aus dem Persischen von Susanne Baghestani. Kirchheim Verlag, München 2009