Das verbotene Wunder

Warhol, Flavin, Lichtenstein: Das Teheraner Museum für Moderne Kunst besitzt einen Schatz – und zeigt ihn nicht / Von Amir Hassan Cheheltan

Vor zwei, drei Wochen berichtete eine Teheraner Zeitung, dass die iranische Botschaft in Frankreich eine Holzskulptur im Hof des Botschaftsgebäudes vernichtet und entsorgt hat. Die Skulptur des iranischen Bildhauers Kambiz Sharif war vor einigen Jahren auf der Biennale iranischer Plastik zum besten Kunstwerk gewählt worden. Wie die Zeitung weiter berichtet, erklärte ein Botschaftsangehöriger dem Künstler, „Für die Aufstellung der Skulptur und die Garantie für ihre Konservierung war die vorige Regierung zuständig. Wir übernehmen dafür in der neuen Amtszeit keinerlei Verantwortung. Die iranischen Botschaftsangestellten haben die Skulptur, die wegen einer Windbö umgestürzt war, außerhalb der Botschaft abgestellt, und offenbar hat die Müllabfuhr sie mitgenommen.” Der Künstler sagte anschließend, diese Plastik sei ein Teil seiner Existenz gewesen.

Bei einem früheren Telefonat hatte der Sprecher der iranischen Botschaft zunächst behauptet, keine Kenntnis von der Plastik zu besitzen und gesagt: „Weshalb müssen Sie die Existenz oder Abwesenheit einer Skulptur so aufbauschen, während Iran mit so schwerwiegenden Problemen wie der Atomkrise und Wirtschaftssanktionen konfrontiert ist?”

Seit drei Jahrzehnten befindet sich Teheran im Ausnahmezustand, erst wegen des Kriegs mit dem Irak, dann wegen der sogenannten feindlichen Kulturattacke, zuletzt wegen der Atomkrise. Niemand kann die Zukunft einer Gesellschaft garantieren, die seit so langer Zeit nervös ist. Vielleicht verbreiten die Zeitungen deshalb täglich Nachrichten von Personen, die mit magischen Kräften in Verbindung stehen; sie kündigen Wunder an.

Was der Entsorgung der Holzskulptur durch iranische Botschaftsangestellte in Paris jedoch eine besondere Note verleiht, ist ihre Koinzidenz mit der Eröffnung der Ausstellung „Manifestationen zeitgenössischer Kunst” im Tehran Museum of Contemporary Art, in der neben Exponaten iranischer Künstler auch Werke von so namhaften amerikanischen Künstlern wie Bill Viola, Jerri Allyn, Susan Lacy und Masamo Teraoka präsentiert werden.

Geschwärztes Gesäß

Dem Katalog zufolge sollte eines der Exponate, das von einer iranischen Künstlerin stammt, Fingerabdrücke darstellen. Als ich den Museumswärter bat, mich dorthin zu führen, geleitete er mich in einen abgedunkelten Raum mit dem Video „The Reflecting Pool” von Bill Viola. Beim Schein seines Feuerzeugs konnte ich an der Wand eine Reihe von Fingerabdrücken erkennen; die Ausstellung dieser Identifikationsmerkmale in einem dunklen Raum sollte vermutlich auf die Verhüllung der Frauen in der iranischen Gesellschaft anspielen. Die rote Farbe der Fingerabdrücke war besonders blass, es ging das Gerücht, die Künstlerin habe dafür Menstruationsblut verwendet. Zugleich stellte ich fest, dass das Gesäß des nackten Mannes, der am Ende von Violas siebenminütigem Videofilm einem Schwimmbecken entsteigt, geschwärzt worden war.

In Teheran existieren rund achtzig aktive Kunstgalerien, die bedeutendste ist jedoch das Tehran Museum of Contemporary Art, das im Oktober 1977 vom Schah und seiner Gattin Farah Diba eröffnet wurde. Genau ein Jahr später auf dem Höhepunkt der Islamischen Revolution musste es vorübergehend seine Aktivitäten einstellen, um im November 1979, zeitgleich mit der Besetzung der amerikanischen Botschaft von revolutionären islamischen Studenten wiedereröffnet zu werden. Die kurze Schließung hatte genügt, um das Regime davon zu überzeugen, dass sich ein Museum ebenfalls als probates Propagandamittel eignet. Es wurde mit einer Ausstellung zu Wandmalereien der Revolution wiedereröffnet.

Während seines kurzen Bestehens in der Schah-Zeit fanden in diesem Museum zahlreiche Ausstellungen statt, deren wichtigste die Objekte von Dennis Oppenheim, Plastiken des japanischen Bildhauers Haraguchi, eine Sammlung der Werke des französischen, ungarisch-stämmigen Malers Victor Vasarely und insbesondere Teile der umfangreichen Sammlung Ludwig waren, die die Ent-wicklung westlicher Kunst in den sechziger und siebziger Jahren zeigten.

Der Bau und die Ausstattung des Museums stand unter Aufsicht der Kanzlei der Kaiserin. Farah, die vor ihrer Ehe mit dem letzten iranischen Schah zwei, drei Jahre in Paris Architektur studiert hatte, war Mäzenin zahlreicher kultureller Aktivitäten in Iran, darunter das „Kunstfestival von Schiras”. Ein Programmpunkt des Jahres 1977 war das Stück „Schwein, Kind und Feuer” einer ungarischen Theatergruppe, dessen Aufführung großen Aufruhr verursachte. In dem Stück las eine Schauspielerin aus der Bibel, während sich unter ihrem Rock eine Filmkamera befand, deren Aufzeichnung zeitgleich auf die Leinwand projiziert wurde. Auf der Bühne vergewaltigte außerdem ein Soldat eine traurige Prostituierte, die eine große Puppe in den Armen hielt. Es heißt, diese Vergewaltigung sei nicht fiktiv gewesen, sondern habe tatsächlich stattgefunden. Der Regisseur gestand in einem Interview, dass er das Stück nur ein einziges Mal in New York habe aufführen können. Der britische Botschafter Anthony Parsons in Iran schreibt in seinen Memoiren „Pride and Fall”, er habe wenige Tage später zum Schah gesagt, dass eine derart obszöne Aufführung sogar in Manchester einen Skandal ausgelöst habe. Der Schah habe die Bemerkung mit Gelächter quittiert. Die Befürworter der These, der Schah sei wesentlich für den Ausbruch der Islamischen Revolution verantwortlich gewesen, spielen auf solche Ereignisse an.

Farah Diba ließ sammeln

Das Gebäude des Tehran Museum of Contemporary Art ist auf einer Grundfläche von 8500 Quadratmetern aus Stein und Beton erbaut worden und vereinigt unterschiedliche Elemente der traditionellen iranischen Architektur: das achteckige Vestibül, Kreuzwege und Durchgänge mit Elementen der zeitgenössischen Architektur. So sind etwa die Oberlichter von den traditionellen Windfängen inspiriert, ihre spiralförmige Innengestaltung folgt jedoch modernen Entwürfen. Die zahlreichen Ausstellungsräume nehmen einen spindelförmigen Verlauf, der in ein Atrium mündet, in dem die stählerne, mit Ölfarbe bemalte Plastik „Matter and Mind” des Japaners Noriyuki Haraguchi ausgestellt ist.

Seit Beginn der siebziger Jahre hatte Kaiserin Farah parallel zum Entwurf und Bau des Museums mit dem Ankauf von Werken in Absprache mit europäischen Galerien beginnen lassen. Als das Haus seinen Betrieb 1977 aufnahm, besaß es mehr als vierhundert Exponate, mindestens ein Drittel von außerordentlicher Güte.

Die Exponate, die die Entwicklung der modernen Kunst veranschaulichen und nach Ansicht von Experten die bedeutendste Sammlung außerhalb Europas und Amerikas darstellen, beginnen mit Werken der Impressionisten, mit Monet, Pissaro und Edouard Vuillard. Ihnen folgen hervorragende Werke von Postimpressionisten wie Gauguin, Toulouse-Lautrec und Kees Van Dongen, schließlich die Kunst des frühen zwanzigsten Jahrhunderts mit charakteristischen Beispielen des Fauvismus und Expressionismus wie „L’Âge d’or” von André Derain, „Trio Cirques” von Georges Rouault sowie „Marriage des masques” von James Ensor. Man findet die Kubisten mit Werken von Braque und Picasso, sowie Gemälde von Max Ernst, René Magritte, Salvador Dalí und Juan Miró.

Die größte und bedeutendste Abteilung zeigt Kunstwerke aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, abstrakte Expressionisten, die sich in New York etablierten, wie Robert Motherwell, Mark Rothko, Jackson Pollock, Franz Kline, Adolph Gottlieb und Willem De Kooning. Hinzu kommen Werke von Kandinsky, Pierre Soulages sowie von Pop-Art-Künstlern, unter anderem Jasper Jones, Robert Rauschenberg, Roy Lichtenstein, David Hockney und insbesondere Andy Warhol. Die Schatzkammer enthält Werke von Francis Bacon, Henry Moore, Alberto Giacometti und Jean Dubuffet, und im Skulpturengarten kann man neben Plastiken von Giacometti und Moore auch exzellente Werke von Max Ernst, René Magritte und Eduardo Chillida besichtigen. Minimalistische Skulpturen von Sol Lewitt, Robert Morris und Donald Judd, ja, sogar Neonkunst von Dan Flavin vertreten; ein Text des Konzeptkünstlers Joseph Kosuth und eine Installation von Robert Smithson repräsentieren postminimalistische Tendenzen.

Experten schätzen den Wert der Sammlung auf 1,5 bis 3,5 Milliarden Euro.

Symbol für Jahre des Verbots

Das Tehran Museum of Contemporary Art im Zentrum der Stadt ist mehr als eine Kunstsammlung – es ist ein Symbol für all das, was in den vergangenen drei Jahrzehnten von offizieller Seite dementiert worden ist. Das bedeutet nicht, dass die Verantwortlichen nicht den Mut oder die Macht besessen hätten, das Museum zu schließen. Exponate aus dieser Sammlung werden ohnehin selten gezeigt – und in den vergangenen Jahren gar nicht mehr. Der Direktor des Museums, Habibollah Sadeghi, sagte der britischen Zeitung Guardian, es mangele an Platz. In Wahrheit muss die Sammlung im Verborgenen weiterbestehen, um den Mullahs ein mahnender Hinweis auf die nach wie vor geleugnete Moderne zu sein. Denn gerade jetzt vollziehen viele einstige Revolutionäre einen Wandel, erleben eine Rückbesinnung auf die Moderne. Es ist ein Prozess, dem sie sich nicht entziehen können.

Beispielhaft lässt sich diese Wandlung an einem auch im Westen bekannten Regisseur beobachten, der einst ein muslimischer Revolutionär war und im ersten Jahrzehnt der Revolution nach Vorführung des Films eines säkularen Regisseurs erklärt hatte, er sei bereit, sich Handgranaten umzubinden, den betreffenden Kollegen zu umarmen und sich mit ihm in die Luft zu sprengen. Dieser revolutionäre Muslim hat kürzlich die französische Staatsbürgerschaft angenommen und in seinem letzten Film eine nackte Frau vor die Kamera gesetzt!

Ähnliche Meinungsumschwünge kann man auch im politischen Bereich beobachten bei jenen muslimischen Revolutionären, die heute, nachdem sie uns das Leben unerträglich gemacht haben, von Demokratie und Menschenrechten sprechen.

Nach drei Jahrzehnten unter unerträglichen Verhältnissen wird mehr denn je deutlich, dass es purer Neid ist, der die einstigen Revolutionäre moderne Menschen und das moderne Leben mit all seinen Erscheinungsformen hassen lässt. Nicht Gerechtigkeit treibt sie um, vielmehr möchten viele von ihnen wie moderne Menschen werden. Dieser beschwerliche Prozess hat sich nur auf Kosten der gebildeten Stadtbewohner entfalten können, die eingeschüchtert und schikianiert worden sind. Deren Situation lässt sich allerdings nicht mit dem der Bevölkerungsmehrheit dieses Landes vergleichen, die ganz andere Sorgen und Nöte hat. In diesem komplizierten Spiel ist die Sammlung im Museum of Contemporary Art ein Faustpfand.

Der Verfasser, Jahrgang 1956, lebt in Teheran. Sein jüngster Roman „Iranische Morgenröte” wurde für den Staatlichen Buchpreis nominiert, wogegen er unter Hinweis auf das Publikationsverbot mancher seiner Werke protestierte. Amir Hassan Cheheltan hat zwei Attentate überlebt.

Deutsch von Susanne Baghestani

Auge in Auge mit der Moderne: Zwei Teheranerinnen betrachten Warhols „Mao”-Serie 1999 bei einer seltenen Ausstellung der wertvollen Sammlung moderner Kunst im Teheraner Museum. Foto: Kaveh Kazemi/Corbis